CRASH

- border games -

2006

CRASH plays with the desire, the need, and the necessity to reach another place. A destination which looks better, more beautiful and more livable.

CRASH questions our relationship to notions like freedom and boundaries, closeness and distance.

CRASH reminds us oft he fear which we direct towards all that is alien or strange.

CRASH casts an eye on sport and ist power and elegance as well as the disciplines of body and spirit as a means to achieving an end.

CRASH shakes up the rehearsed and well-worn habits of looking on as a spectator as well as looking the other way. It uses the energy which arises out of thoughts, actions, bodies and images.

CRASH is a political piece and the central element in it is the fence. We, the public, are those who live on the rich side, where we have enough money to invest 200 euros a month in cat food. Those who live on the other side (here the dancers) are those who desperately say: ``Let me come over, let me be your cat and lie in front of the fire, I would be cheaper to feed...``. And between us, the rich, and them, the poor, is - the fence. An insurmountable fence.

Dreizehn Menschen finden sich an einem Ort wieder, an dem es durch eine Grenze kein Weiterkommen zu geben scheint. Wir können nur vermuten, woher sie kommen, wir können nur ahnen, warum gerade diese Menschen an gerade diesem Ort sind, wir wissen aber ziemlich genau, wo sie hinwollen.

CRASH zeigt, was sich unter Menschen ereignet, die auf ihrem Weg ein Hindernis finden, das ihnen das Weitergehen unmöglich macht. Wir nehmen teil an ihrer Wut, an ihrer Verzweiflung, an ihren Träumen und Sehnsüchten. Wir sehen und hören, wie sich Langeweile, Kampfeslust, Aggression und Erfindergeist auf ihre Körper und Stimmen auswirken.

CRASH macht unser Bedürfnis nach Sicherheit zum Thema. Es führt uns buchstäblich vor Augen, dass Barrieren zugleich Ausgrenzung und Schutz sind, dass wir durch ihre Errichtung zwar Verantwortung von uns weisen, dass wir aber ohne sie nicht leben können. Wenn wir keine Grenzen in unserem Leben ziehen, werden wir überrannt oder überflutet. Wenn wir uns zu sehr von Grenzen abschrecken lassen, werden wir innerlich leer.

Will man geografisch-politische Trennlinien überwinden, heißt dies oft genug auch, den eigenen Körper an eine Grenze zu führen. Wo der Weg in ein gelobtes Land mit Stacheldraht und Beton versperrt ist oder wo die Natur mit sengender Hitze, reißender Wasserströmung und mannshohen Wellen der Grenzpolizei die Arbeit abnimmt, müssen Muskeln und Gelenke alles geben, müssen Schmerzen und Wunden ignoriert werden, müssen Zähne besonders fest zusammengebissen werden.

Wir alle wissen, dass wir als Kinder im Spiel für das Leben lernen. Wer im Sandkasten Burgen errichtet, der später hoffentlich etwas „Richtiges“ bauen, wer Blechsoldaten oder digital generierte Kampfmaschinen lenkt, mag besser für reale Gefechte und Schusswechsel gerüstet sein. Und wer Sport treibt, wird eines Tages seiner Fitness möglicherweise das Leben verdanken. Es gibt Situationen, in denen „Sport und Spiel“ plötzlich zu BORDER GAMES werden, – Spiele, die im wahrsten Sinne des Wortes an die Grenze gehen.

Hinter den Grenzen findet der Sturm auf die Festung Europa statt. Heißt es. In Wahrheit schaut Europa voller Neugier hinein in die exotischen Wüsten vor seinen Grenzen, in eine Welt ohne Schengener Abkommen, ohne biometrische Pässe und ohne juristisch einwandfreie Rechtsformen. Mit Schaudern verfolgt Europa den Mut der jungen Männer und Frauen, die sich von Ost und Süd mit Hilfe vielversprechender Schlepper todesmutig ins Meer werfen, nur um in Länder zu kommen, deren Politiker sie nicht haben wollen. Sie versuchen es trotzdem und mit christlicher Ehre am Leib. Die Bibel ist randvoll von Flucht und Vertreibung, Auszug und einem Wettlauf gegen die Verfolger. Auch sie hegen den Wunsch, dass sich Meere teilen und die Sterne ihnen den Weg leuchten ins Gelobte Land. Ihre Mittel sind denkbar einfach. Sie haben nichts, nur ihren Körper, der immer wieder denselben Weg nimmt. Zu den Grenzen, zu den Zäunen, zu den Gestaden, von wo aus sie zurück gebracht werden in die Wüsten und es erneut versuchen. Den schamvollen Weg zurück nach Hause gibt es nicht. Ihre Hoffnung ist Sport. Ihre Übungen: Rudern, Schwimmen, Laufen, Springen, auch Hungern und Dursten, nicht mitgerechnet die Überfälle auf sie auf den Vorplätzen zu Europas Bastion. Damit sind sie Vorreiter, sind sie Speerspitze und in Wahrheit Crash Test Dummies für all die, die ihnen nachfolgen werden.

Die 800 Millionen Einwohner Europas haben etwa gleich viel Fans in Afrika, die uns zujubeln und mitspielen wollen.
One world – one spirit: global agierende Sportkonzerne müssten eigentlich zufrieden sein. Nicht ganz, denn mitspielen dürfen nur begnadete Fußballartisten. Damit die anderen außen vor bleiben, wurde ein Zaun gebaut, der die Afrikaner vom Spielfeld der Europäer fern hält. Doch aufgrund der Geburtenentwicklung ist in naher Zukunft eine Halbierung der europäischen Mannschaft und eine Verdreifachung der afrikanischen Fankurve zu erwarten, somit ein ständig größerer Sicherheitsaufwand für beide «gated communities» mit ihren jeweiligen Minoritäten auf der anderen Seite. Diese Minoritäten sind die Schutzflehenden, die Weißen in Afrika ebenso wie die «illegalen» Afrikaner in Europa. Beide sehen die Kosten der Freiheit; im Gegenzug wird uns innerhalb der Gates mehr Sicherheit geboten – in jedem Fußballstadion und auf jedem Flughafen. Oder wird nur immer mehr Paranoia erzeugt, weil wir unsere Fans nicht lieben? Auf welcher Seite des Zauns stehen wir wirklich?

concept
choreography

Helena Waldmann

choreography

Marguerite Donlon

music

Claas Willeke

stage

Matthias Werner

light design

Lutz Deppe

costumes

Markus Maas

dramaturgy

Christoph Gaiser
Holger Schröder

choreographic collaboratio

Claudio Schellino

with

Meritxell Aumendes Molinero
Antonio Chamizo Salcedo
Elmer Domdom
Youn Hui Jeon
Toby Kassell
Yamilla Khodr
Hitomi Kuhara
Teresa Marcaida
Matthias Markstein
Ignacio Martinez-Ramirez
Maria Pilar Abaurrea
Pascal Séraline
Ilka von Häfen

fotos

Bettina Stöß

duration

60 minutes

Touring

Preview:
2006, MAY 5+6

Trafo Budapest (H)

Premiere:
2006, MAY 13

Ballett des Saarländischen Staatstheaters (D)

DONLON DANCE COMPANY

2006

MAY 18+21+27

Ballett des Saarländischen Staatstheaters (D)

DONLON DANCE COMPANY

JUNE 10+11+18+23+27+29

Ballett des Saarländischen Staatstheaters (D)

DONLON DANCE COMPANY

JULY 21+22

Munich, Muffatwerk (D)

Press

german

Saarbrücker Zeitung | May 15, 2006
von Silvia Buss

Die Faust im Nacken >

Plötzlich. Ohrenbetäubendes Hubschrauberdröhnen, ein Suchscheinwerfer kreist über am Boden liegende, zerlumpte Gestalten. CRASH beginnt wie ein Überfall. Noch bevor sich die Augen an das Halbdunkel gewöhnen, die Menschen erfassen, die da vor einem aus dem Schlaf erwachen und sich aufrappeln, spürt man das Bedrohliche der Stimmung, die in der nächsten Stunde nicht mehr weichen wird. Alarm-Sirenen, düstere, treibende Elektro-Beats. Hinter einem vier Meter hohen Maschendrahtzaun: verängstigte Gefangene, eine anonyme Menge, die in vielerlei Sprachen redet und typische Stresssymptome zeigt. Aus ersten Rempeleien steigern sie sich in eine Schlägerei. Tritte in den Unterleib, eine Frau wird mit dem Kopf gegen den Zaun geschmettert, bis sie zusammensackt. CRASH zeigt uns den verzweifelten Kampf dieser Menschen, um auf die andere Seite zu kommen, über jenen Zaun, mit denen sich die reichen Länder vor ihnen schützen wollen.
„Was habt ihr uns zu bieten, außer Atmen, Verhungern …?“ fragt eine Stimme aus dem Überwachungsapparat. „Wir können spielen“ heißt die Antwort. Womit CRASH zu seinem Kunstgriff überschwenkt und das Bühnenbild seinen Vexiercharakter offenbart: Wir sitzen (auch) in einer Sportarena, auf Tribünen von A bis Z, hinterm Zaun Banden. Die Tänzer tragen Trikots mit ihren Namen. Es wird Fußball gespielt. Sporttalent als Passierschein? Sport als Befreiungswettkampf. Fußball, Völkerball; Zweikampf, als Mischung aus Ringen und Boxen – das Durchspielen verschiedener Sportarten, die Wiederholung gibt dem Stück einen Rhythmus. Zusammenbrechen, verschnaufen, neu antreten, immer wieder, ein unermüdliches Sich-Schinden, das an die Nieren geht, weil es den Tänzern auch ganz real enorme Kräfte, Schonungslosigkeit abverlangt. Nicht nur Stunt-Man-Qualität, wenn sie einander traktieren, den Maschendraht rauf und runter klettern. Waldmann und Donlon haben überzeugende tänzerische Stilisierungen gefunden: virtuose Sprünge, synchrone Sequenzen für die Truppe, die Unglaubliches vollbringt.

SR-online | 2006, May 5
von Anke Schaefer

Für die EU – Nur Gewinner >

CRASH ist ein politisches Stück und das zentrale Element darin ist der Zaun. Wir, das Publikum, sind die, die auf der reichen Seite leben, wo wir Geld genug haben 200 Euro im Monat in Katzenfutter zu investieren. Die, die auf der anderen Seite lieben (hier die Tänzer) sind die, die verzweifelt sagen: „Lasst mich rüberkommen, lasst mich Eure Katze sein und vor dem Feuer liegen, ich wäre billiger durchzufüttern…“ Und zwischen uns, den Reichen und ihnen, den Armen, ist – der Zaun. Ein unüberwindlicher Zaun.

Ziemlich genau so ein Zaun, wie er die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla umgibt, die sich auf marokkanischem Boden befinden und die für alle Afrikaner, die durch die Wüste kommen und den Zaun überwinden, den Eintritt in die gelobte EU verheißt. Und wenn in CRASH die Tänzer rüber wollen, über den Zaun, wenn ihre Körper hineinrennen, daran hochklettern dann klingt das immer wieder wie ein lärmend-gefährliches, angstmachendes „Krachen“. Der Zaun spricht, er macht eine dumpfe Art von Musik. Eine Musik, die Claas Willeke kreiert hat. Manchmal verursacht sie in ihrer Raserei fast Herzschmerzen, und wo sie leiser ist vermittelt sie immer das Gefühl latent in der Luft schwebender Gefahr.

Am Anfang gibt eine zynische Lautsprecherstimme ihre erste Anweisung: „Ihr bekommt nun die Erlaubnis, in die EU einzureisen – aber leider akzeptieren wir nur Gewinner“. Und dieses Diktum setzt den Rahmen: Ab jetzt wird gekämpft. Die Tänzer, in ihren Trikots beginnen, sich miteinander zu messen indem sie die verschiedensten Sportarten betreiben. Sie versuchen, sich mittels Stabhochsprungs über den Zaun zu katapultieren, sie spielen Fußball, Völkerball und Baseball und treten im Zweikampfgegeneinander an. Dabei haben die Bälle etwas von Gewehrkugeln, Spaß machen die Spiele nicht. Mit aller Macht verausgaben sich diese Tänzer/Flüchtlinge total. Gewinner gibt es nach diesen Kämpfen aber natürlich nie.

Ein brisanter politischer Hintergrund, ein ziemlich gutes Bühnenbild mit einem sprechenden Zaun, exzellente Tänzer, bzw. Sportler, die eine Stunde geballte Kraft entwickeln, und wir als Publikum sind eingebunden in die Szenerie. Das Premierenpublikum war hoch begeistert.

Ballettanz Jahrbuch | 2006
von Helena Waldmann

Das Korsett der Befreiung >

Was ist mein Raum?

Der Raum ist das Korsett der Befreiung. Ein Raum ist ein Korsett, sonst hätte man alle Welt zur Verfügung. Es ist der Raum, nicht die Bewegung, die zu einer Limitierung, einer Einengung führt, die den Widerstand überhaupt erst ermöglicht, die Bewegung notwendig macht, eben nicht beliebig, sondern not-wendig, im Sinn von Tanz. Aus einer Not, die wendig macht, um die gesetzten Grenzen zu durchbrechen. Ein Tänzer muss nicht alle Bewegungssprachen beherrschen, ich will nicht wissen, wieviel Vokabularien er kennt, sondern welche Bewegung er beherrschen muss, um in seinem Käfig zu überleben, wobei der Käfig eben kein Allerweltsvokabular verlangt, sondern ein „nimm’s oder stirb“ herstellt, eine Überlebenskraft, die auch sonst in ganz realen Situationen verlangt, eine ganz präzise Bewegung zu vollführen. Eine, die dich aus der Not rettet. Eine Bewegung ist ohne Raum undenkbar. Das ist Überleben und darum geht es. Wie bringst du es fertig, nicht mundtot gemacht zu werden, nicht gehorchen zu müssen, sondern hinter dem Spiegel hervorzutreten? Dich gegen das Zweidimensional gemacht werden zu wehren, gegen das Einordnen in Papiere, Vorschriften, Formulare, Regeln, Verhaltensweisen.
Ich zeige genau diese Rahmung, den Spiegel, den Screen, die Limitierung durch das Gesetz auf der Bühne, um den Akt der Befreiung wenigstens denkbar zu machen.

Was wäre die vierte Wand im realen Leben?

Das Theater hat sie erfunden, aber das Leben hat sie fortdauernd, die unsichtbare Wand, gegen die man anspielt, die man aber zugleich immer ignoriert, so tut, als wäre man frei, als gäbe es keine Probleme und keine Notwendigkeit zum Widerstand. Immer wieder stecke ich Tänzer in ein Zelt, hinter eine Leinwand, ein Fenster, nicht aus ästhetischen Gründen. Wir erwarten die Anwesenheit des Menschen, aber wenn wir ihn nicht fassen, nicht greifen können, dann ist es ein Zeichen der Unfreiheit. Die Frauen in Iran sagten mir, dass sie die Zelte, die sie auf der Bühne sahen, am liebsten zerrissen hätten. Sie konnten es nicht mehr aushalten, selber verschleiert, im Spiegel ihren Schleier zu sehen. Der Widerstand wurde in ihnen unaushaltbar.
Ich glaube, man macht Menschen viel sichtbarer, wenn man sie in ihrer Behinderung sieht. Der Mensch definiert sich aus dem, was ihn behindert, was ihm verweigert wird, was er nicht darf, nicht darüber, was er dürfen könnte. Die Freiheit eben, die er nur träumt, aber nicht hat.

Warum machen Grenzen so stark?

Weil sie den Druck erzeugen, Grenzen zu sprengen und zu überwinden. Sie existieren nicht von Natur aus – das Gefängnis, die Grenze zwischen Israel und Palästina, zwischen Religionen, die KZ-Mauern zwischen Juden und Deutschen – dieser Widerstand erzeugt so viel Kraft, der ist nicht durch Kunst zu erzeugen. Widerstand kann es nur in einem selbst geben. Und es gibt viel Widerstand.
Was hinter diesen Mauern und Schleiern dessen steckt, was einem vorenthalten wird, das ist das Menschliche. Darum geht es, nicht um die Politik, sondern um die Menschen in Gaza, in Iran, in Afrika – diese Grenzen mache ich sichtbar, um die Menschen zu zeigen. Ich errichte im Theater Mauern, um hinter sie schauen zu können. Warum werden die Menschen hinter Mauern weggesperrt, werden ihnen die Menschenrechte entzogen, erhalten sie keine Visa, müssen sich einem Kleiderzwang unterwerfen? Es geht doch um die Freiheit, um den Widerstand gegen die Gefangenschaften. In meiner „vodka konkav“ Inszenierung zum Beispiel sitzt ein Mensch auf der 42. Treppenstufe, und kann dort nicht weg. Er muss die Fantasie gebrauchen wie der Zuschauer in der 42. Sitzreihe. Wenn dort nicht die Freiheit dämmert, wäre das ein Theater ohne den Willen zur Freiheit.