The Expansion of the Fighting Zone

– a men’s dance –
according to Michel Houellebecq

2001

Die Ausweitung der Kampfzone
– ein Männertanz –

The last representatives of the species „man“, left over from the time before cloning, are stuck like stuffed animals in museum display cases, which then begin to move, becoming dancing wheeled cabinets. A singularly lonely, self-pitying Houellebecq male quintet reveal their masculine rituals in their sexual misery, their frustration and melancholy, with all the vanity of the shirt-and-tie wearing type of man. At the peak of the Houellebecq wave, this Lucerne production, based on the novel of the same name, received international attention.

«Ich habe das Gefühl, eine Hühnerkeule unter Zellophan in einem Supermarktregal zu sein». Ein typischer Houellebecq-Satz. Kultverdacht. Der Mensch ist nach Handelsklassen sortiert. Das Prinzip Markt hat den beruflichen Sektor fest im Griff. Genauso das Prinzip Konsum. Und das Prinzip Liebe. Auch persönliche Beziehungen organisieren sich nach Gesetzen des Marktes. Liebe ist ein Wettbewerb um das beste Angebot. Einige machen ein Schnäppchen. Andere gehen so leer aus, dass sie in die Kampfzone eindringen: Nur nach den Regeln zu leben genügt nicht. Im Regal stehen und auf die große Chance zu warten: wie im Zoo? Angestarrt zu werden als hässliche Büffelkröte: nein danke! In Michel Houellebecqs Roman «Die Ausweitung der Kampfzone» treten auf: bissige Störche, begossene Pudel, Schafe, die Mahnwachen für Kühe halten. Schimpansen als Opfer ihres Sexualtriebs. Nur eine Fabel? Nein. Sondern ein tödlicher Wettlauf hinter den Windschutzscheiben des Begehrens. Helena Waldmann inszeniert den Supermarkt als Aufstand der Hühnerkeulen.

Bissig, empathisch, witzig: Houellebecqs Lebensalbtraum als kurzer, funkelnder Theatertraum - etwas Besseres konnte ihm kaum zustoßen.

Neue Zürcher Zeitung

Es ist ein Gespensterchor aus dem Hades der New Economy, sehr bedrückend und vielleicht doch ernst zu nehmen.

Züricher Tages-Anzeiger

a production of Luzerner Theater (CH)

conception
stage
direction

Helena Waldmann

music
livepercussion

Arik Hayut

video

Stefan Bischoff

stage
costumes

Frank Leimbach

light design

Gérard Cleven

dramaturgy

Brigitte Knöß

assistance

Bettina Rizzi

with

Matthias Buss
Marcel Metten
Ben Daniel Jöhnk
Karsten Müller
Erich Wyss

voices

Julia Schmidt
Arnulf Seiler

fotos

Keystone

duration

70 minutes

Touring

Premiere:
2001, JAN 13

Luzerner Theater (CH)

2001

JAN 17, 25

Luzerner Theater (CH)

FEB 1, 20

Luzerner Theater (CH)

MARCH 3, 13, 17

Luzerner Theater (CH)

JUNE 1, 6

Luzerner Theater (CH)

OCT 4

Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen (D)

Press

german

Neue Zürcher Zeitung | 15.1.2001
von Barbara Villinger Heilig

Im Männerzoo >

Helena Waldmann tappt nicht in die narrative Falle. Sie lässt den linearen Handlungsfaden links liegen und beschränkt sich auf eine wohldosierte Auswahl einzelner Episoden, die sie wie szenische Aphorismen präsentiert. Resultat: eine bewegte Installation oder Bild- und Textcollage von wundersam ästhetischem (und unter Mithilfe des Perkussionisten Arik Hayut auch musikalischem) Reiz, bissig, empathisch, witzig. Die regieführende Arrangeurin hat, anders als gewisse Literaturkritik, dem Abgesang auf die Zivilisation der neunziger Jahre viel Groteskes abgewonnen und bedenkt die fünf männlichen Figuren, in welche sie den Romanprotagonisten auffächert, mit ihrem zärtlichen Spott. Die Schauspieler zahlen ihr diese Haltung mit vergnügter Spielfreude heim, obwohl enge Schranken ihre Bewegungsfreiheit einengen.
Sie stehen und sitzen nämlich, jeder für sich, in Glaskuben und kommunizieren – wobei sich ihre Rede mehr mono- als dialogisch profiliert – via Mikroport. Die transparente Einerzelle, entweder in hohem, schlankem Dusch- bzw. Telefonkabinenformat oder niedriger und breit wie ein Schaufenster, jedenfalls aber individuell garniert mit Kleiderbügel, Papierkorb, Stuhl, Klebebildchen weckt zahllose Assoziationen: Der Wohncontainer für Big-Brother-Solisten und -Solipsisten in Isolationshaft liefert seine Insassen nicht nur ihrem eigen Ich aus, sondern auch den Voyeur-Blicken des Publikums, dem die gerahmten Vitrinen den Fernsehmonitor ersetzen. Wie durch ein Vergrößerungsglas beobachten wie die fünf beim Herumfingern am tertiären Geschlechtsmerkmal namens Krawatte, das zur Beamtenuniform – langweilige Anzüge, langweilige Hemden – wie zur Freizeitmontur – Lederhosen, Cowboystiefel- gehört. (…)
Der Mensch, im Unterschied zu den Wiederkäuern, verzichtet erstens ungern auf Sex und will ihn zweitens romantisch: in Form von Liebe. Während einer rührend komischen Sequenz lässt Helena Waldmann die Schauspieler samt ihren – per Tretroller-Mechanik mobil gemachten – Glaspanzern einen reigenhaften Umzug inszenieren, den sie begleiten mit einer aus voller Brust geschmetterten Schnulze: „Adieu, süße Candy“, schnulzt sehnsüchtig der Refrain. Ein andermal fixieren alle, Rücken zum Saal, den Girl-O-Mat, welcher Pin-up-Nixen und Hintergrund – exotisch, schweizerisch, – auf Wunsch bzw. Knopfdruck kombiniert. Oder sie bekennen, nach dem Muster einer Zeitschriftenumfrage, ihre, letztlich sehr gemäßigten – erotischen Phantasien, bevor sie sich, dank ihrem Gehäuse paradoxerweise gefeit gegen jeden Körperkontakt, ins Discogetümmel stürzen. Houellebecqs Lebensalbtraum als kurzer, funkelnder Theatertraum – etwas Besseres konnte ihm kaum zustoßen.

Züricher Tages-Anzeiger | 19.1.2001
von Simone Meier

Hilfeschrei aus dem kommunikativen Elendsviertel >

Aus Houellebecqs Erstlingsroman „Die Ausweitung der Kampfzone“ hat Helena Waldmann geradezu rührend sympathische Bühnenfiguren gefräst, fünf höhere Angestellte, Informatiker mit Börsengespür, ökonomischen Sieger, doch emotionale Verlierer bekanntlich, Sozialautisten im kommunikativen Elendsviertel zwischen räudigem Kater und verkorkstem Romantiker. (…)
Dass Helena Waldmanns aseptisches, streng rhythmisiertes Bildertheater mit Houllebecqs lakonischen Textsplittern über das allmähliche Einfrieren der Zwischenmenschlichkeit harmonisieren konnte, war absehbar. Fragwürdig war eher, wie sie, die stets so einfallsreich mit ungewöhnlichen technischen Mitteln umzugehen weiß, jetzt plötzlich eine ganz, zudem sprechende Menschengruppe integrieren würde. Tatsache ist, dass es ihr gelungen ist. Wahrscheinlich, weil sie Houellebecqs technophile Vision des künstlichen, begierdelosen Menschen vor Augen haben konnte, in die ihre Adaption der „Kampfzone“ erschreckend eindringlich mündet. Samt Vitrinen ziehen sich die Männer hinter einen Plastikvorhang zurück, man sieht sie schimmern wie Wasserleichen, sie sprechen mit Hitler-ähnlichen, verzerrten Stimmen in die völlige Leere hinein. Es ist ein Gespensterchor aus dem Hades der New Economy, sehr bedrückend und vielleicht doch ernst zu nehmen.

Theater der Zeit | 3.2001
von Tobi Müller

Deprimaten-Männer im Naturkunde-Museum >

Während alle Welt sich im Hagelschlag der Kampfzone abzuhärten sucht, überrascht Helena Waldmann in ihrer Luzerner Inszenierung durch ihre milde lächelnde Distanz zur modischen Nachachtundsechziger-Erschlaffung. Aus dem Houellebecqschen Romanhelden hat sie fünf Deprimaten-Männer destilliert, die sie wie in einem Naturkunde-Museum in fünf Glasvitrinen ausstellt. Jedermann hat es sich in seinem Schaukasten so gemütlich gemacht, wie es die ein, zwei Quadratmeter der Einzelle eben zulassen.
Helena Waldmann schenkt diesen masturbierenden Autisten aus längst vergangener Zeit die angemessene Aufmerksamkeit, indem sie die grotesk-komischen Seiten von Houellebecqs Personal heraus kitzelt. Houellebecq nicht nur für Anfänger, sondern auch für Fortgeschrittene.