Ungeduscht, geduzt und ausgebuht

nach Max Goldt/Wiglaf Droste

Uraufführung
im Foyer des Schauspielhauses Bochum

Helena Waldmann lässt die Zuschauer durch das ganze Bochumer Schauspielhaus wandern. Sie verteilt siebzehn Texte – satirisch-bissige Einblicke in den Geist unseres Medien-Zeitalters – auf die Foyers, Treppenhäuser und Kassenhallen, mit fulminanten Verdichtungen, mit Gift und Bösartigkeit. Stories der schwarzen Art.

Schon der Anfang ist eine Frechheit. Man wartet auf Einlass, dann kommen zwei Tanten mit Einkaufstüten, setzen sich auf eine Bank und unterhalten sich, ist der Rhododendron nicht schön grün, und was hat die Zahnspange ihrer Nichte gekostet?
Auftakt zur Wanderung durchs ganze Theater. Im unteren Foyer erzählt man sich vom Wochenende in Bad Blut, im Treppenhaus kommt die verstoßene Geliebte in den Alt-Girl-Container. Quer durch das obere Foyer wird die Menschenmasse getrieben und hört einen Volkshochschulvortrag über die am meisten vernachlässigte aller Früchte, die arme Quitte.
Der Wahnsinn bekommt Methode. Nach neun Stationen berichtet Hedi Kriegeskotte im großen Foyer, wie sie sich als Radiotrinkerin in ihrem nächtlichen Programm regelmäßig bis in die Amnesie säuft.
Szenen von Max Goldt und Wiglaf Droste – sie halten Alltäglichkeiten den Zerrspiegel vor, schlagen den menschlichen Hohlkörpern den Boden aus, bis ihre Szenen in schonungslose Gedankenapokalypsen umschlagen. Spätestens wenn der Radioreporter die unbedarfte Hinrichtungsassistentin interviewt, fragt man sich, wie das noch enden soll mit uns …

Eines Morgens
Ich wollte gerade duschen
kam ein Telegramm.
Handtuch um die Lenden
las ich wie im Fieber.

„Komm bitte heute um drei
ins Buschwindrosenwäldchen.
Wir passen zueinander.
Herzlichst, die Liebe“

Ich hatte mich gesehnt
und wirklich sehr
und dachte nichts wie hin.

Im Wäldchen aber war
von Buschwindrosen keine Spur.
Es lagen nur Kondome im Laub
und benutztes Toilettenpapier.

Die Liebe war auch nicht zur Stelle
und auf der benachbarten Mülldeponie
buhte ein bissiger Wind.

Ungeduscht, geduzt und ausgebuht
fuhr ich in einer überfüllten U-Bahn
weh nach Hause.

Max Goldt

Alles an dem Abend ist wie ungeduscht, geduzt – aber auf keinen Fall ausgebuht!

Radio DRS, Schweiz

Wer spielt wo und was

1 Kassenhalle
Max Goldt: Rhododendron
Juliane Koren, Hedi Kriegeskotte

2 Unteres Foyer links
Max Goldt: Ein Wochenende in Bad Blut
Manfred Böll, Britta Jarmers

3 Treppenhaus links
Max Goldt: Die Visitenkarte einer Frau
Marquard Bohm, Sonja Herzeg, Ulrich Wiggers

4 Oberstes Foyer links
Max Goldt: Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau
Stephan Ullrich

5 Oberstes Foyer rechts
Max Goldt: Der unbekannte Geruch
Ulrich Wiggers

6 Treppenhaus rechts
Wiglaf Droste: Citybag voller Tränen
Karoline Eichhorn

7 Oberes Foyer, Treppe rechts
Max Goldt: Gleichzeitig? Das kann ich nicht
Hedi Kriegeskotte

8 Oberes Foyer, Treppe links
Max Goldt: Dreizimmerwohnungen oder Geweihe brennen schlecht
Lothar Kompenhans, Katharina Linder

9 Oberes Foyer
Max Goldt: Gespräch mit der Radiotrinkerin
Hedi Kriegeskotte, Stefan Ullrich

Max Goldt: Ein Leben auf der Flucht vor der Koralle
Juliane Koren, Ulrich Wiggers

Max Goldt: Die legendäre letzte Zigarette
Karoline Eichhorn, Lothar Kompenhans

Max Goldt: Sympathy for the Devil
Britta Jarmers, Katharina Linder

Wiglaf Droste: Arbeitseinsatz
Ulrich Wiggers

Wiglaf Droste: Seinen Namen sollt ihr preisen
Sonja Herzeg

Max Goldt: Straßenbefragung
Helmut Kraemer und Ensemble

Max Goldt: Eines Morgens
Marquard Bohm

10 Kassenhalle
Max Goldt: Blödmann
Stephan Ullrich

1992

Regie

Helena Waldmann

Bühne
Kostüme

Bettina Weller

Musik

Foyer des Arts /
Elena Kats Chernin

Dramaturgie

Silvia Stutzmann

Regieassistenz

Susanne Henke

Inspizienz

Alexander Störzel

Mit

Marquard Bohm
Manfred Böll
Karoline Eichhorn
Sonja Herzeg
Britta Jarmers
Lothar Kompenhans
Juliane Koren
Helmut Kraemer / Armin Rohde
Hedi Kriegeskotte
Katharina Linder
Stephan Ullrich
Ulrich Wiggers

Fotos

Arwed Messmer

Aufführungsdauer

ca. 2:30 Stunden

Aufführungen

Premiere:
4. Januar 1992

Schauspielhaus Bochum, Foyer Großes Haus (D)

1992

JAN 14., 15., 19.

Schauspielhaus Bochum, Foyer Großes Haus (D)

FEB 7., 13., 18., 20., 28.

Schauspielhaus Bochum, Foyer Großes Haus (D)

MÄR 5., 11., 18., 24.

Schauspielhaus Bochum, Foyer Großes Haus (D)

Presse

Deutschlandfunk | 15.1.1992
von Eva Pfister

Stories der schwarzen Art >

Siebzehn Texte verteilt auf die Foyers, Treppenhäuser und Kassenhallen des Bochumer Schauspielhauses, mit fulminanten Verdichtungen, mit Gift und Bösartigkeit, die der Vorlage mehr als gerecht werden. Stories der schwarzen Art, Stories ohne Schlusspointe, fast beiläufig endend – und manchmal ist dem Bochumer Intendanten, Frank Patrick Steckel, zu widersprechen, der bei der Premiere sagte: „Treten Sie näher, die Schauspieler beißen nicht“. Einige, besonders die großen Komödianten des Hauses an der Königsallee, bissen halt doch.

Saarbrücker Zeitung, 11. Februar 1992
von Rolf Hemke

Ungeduscht, geduzt und ausgebuht >

Die Zuschauer stinken nicht. Keiner duzt uns und auch keiner baut sich vor mir auf, um mit einem lauten Buh sein Missfallen meiner Nase kundzutun. Und doch verlässt man das Bochumer Schauspielhaus mit einem unbehaglichen Gefühl, irgendwie ungeduscht, geduzt und ausgebuht …
Die junge Regisseurin Helena Waldmann hat die Szenenfolge locker, mit sicherer Hand für das Groteske und feinem Gespür für die leisen Momente urinszeniert.